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    Andrea lässt sich scheiden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Andrea lässt sich scheiden

    Endstation: Österreichische Provinz

    Von Janick Nolting

    Wer der österreichischen Dialekte überhaupt nicht mächtig ist und keinen Zugriff auf Untertitel hat, könnte hier und da Probleme bekommen, wenn die Figuren von „Andrea lässt sich scheiden” zu sprechen beginnen. Josef Haders zweite Regiearbeit nach „Wilde Maus” lässt sie in feinster Mundart grummeln, schimpfen und klagen. Der Atmosphäre kommt das zugute! Zugleich sind diese sprachlichen Hürden ebenso eine Chance, auf die kleinen Feinheiten in den Bildern abseits der Dialoge zu achten. Zu entdecken gibt genug. Etwa, wenn sich plötzlich eine Fliege am Bildrand auf das Hemd von Birgit Minichmayr setzt. Vielleicht will sie nur überprüfen, ob noch Leben in ihrer Figur steckt.

    Andrea (Birgit Minichmayr) arbeitet als Polizistin in der niederösterreichischen Provinz, wo sie und ihre Kollegen bei der Verkehrskontrolle froh sein können, wenn sich überhaupt ein Auto in die Gegend verirrt. In ihrem Innersten ist sie zutiefst unglücklich. Jetzt will Andrea endlich raus aus dem Dorf, in die nächste Stadt ziehen und ihrer unglücklichen Ehe ein Ende bereiten. Blöd nur: Kurz nach der Trennung überfährt sie ihren Mann. Wie passend, dass gerade ein ehemals alkoholabhängiger Lehrer (Josef Hader) in Tatortnähe ist und nun glaubt, den Unfall selbst begangen zu haben. Für Andrea werden das Versteckspiel und die Gewissensbisse immer zermürbender…

    wega film
    Die Szenen mit Birgit Minichmayr und Josef Hader sind die Höhepunkte des Films – leider gibt es davon gar nicht mal so viele.

    Birgit Minichmayr („Alle anderen“) spielt überragend. Die Leere und der Frust, den sie in ihre Blicke zu legen vermag, sowie die trockenen Seitenhiebe, die sie verteilt, verleihen „Andrea lässt sich scheiden” seine ganze melancholische Stimmung. Gerade dann, wenn Andrea auf den entwaffnenden, tollpatschigen Lehrer Franz trifft, erreichen die Dialogszenen eine wunderbare Dichte und Skurrilität in ihren Versteckspielen und Missverständnissen. Josef Hader hat sich und Minichmayr einige kraftvolle Momente erdacht. Schade, dass es nicht noch viel mehr von ihnen gibt!

    „Andrea lässt sich scheiden” ist nämlich insofern enttäuschend, als er viel zu schnell endet, bevor die beiden überhaupt so wirklich beginnen können, sich die Bälle gegenseitig zuzuspielen. Die erwähnten Zusammentreffen sind mitreißend, aber sie bleiben innerhalb der Handlung recht spärlich gesät, gleichförmig und gehemmt. Sie versprechen in ihrer Exposition mehr, als sie am Ende des Films einlösen können. Große Eskalationen wird man in Haders Film nicht finden. Wobei das Gedämpfte natürlich nicht die schlechteste Wahl ist, um auf die Welt dieser Charaktere zu schauen.

    Einsame in der Schlager-Disco

    Zu sagen haben sich hier sowieso die wenigsten etwas. Wobei: Zu sagen gäbe es eigentlich genug, nur scheinen alle Dorfbewohner*innen tief in ihren eigenen Geschichten festzustecken. Man hat Mühe, sich einander zu öffnen, über Gefühle zu sprechen. Emotionale Starre, Lügen, aufgesetzte Höflichkeit und Verschwiegenheit erschweren den Umgang. Selbst dann, wenn eigentlich ausgelassene Stimmung herrschen soll, etwa wenn Andreas Kollege (Thomas Schubert) zur Geburtstagsparty einlädt, überwiegt eine immense Unbeholfenheit in der Kommunikation.

    Nachts treffen sich Menschen im Schlagerschloss, wo schwülstige Musik und bunte Disco-Lichter eine heile Welt kreieren und die aussichtslose Suche nach Liebe und Geselligkeit begleiten. Kaum ist man durch das Tor nach draußen getreten, schlägt die Tristesse wieder zu. „Andrea lässt sich scheiden” fügt sich mit solchen düsteren, aber niemals zynischen Entlarvungen ein in eine Reihe jüngerer deutschsprachiger Filme über den Alltag in der Provinz und deren Verhältnis zum Urbanen. „Alle reden übers Wetter”, „Niemand ist bei den Kälbern” oder auch das Wendedrama „Irgendwann werden wir uns alles erzählen” haben es vorgemacht.

    Die Kargheit der Landstraße

    Tatsächlich ist die Stärke von Josef Haders Regiearbeit ihr geschärfter Blick auf die aussterbende Ortschaft. Der ländliche Raum erscheint voller Spannungen, zwischen denen sich die Figuren bewegen. Das Umherfahren und Zurücklegen von Strecken setzt der Kabarettist und Filmemacher prominent in Szene. Die Landstraße als Möglichkeit einer Weltflucht, aber auch als sinnbildlicher Schauplatz von Unfällen und Strandungen. Gleich zu Beginn ist der Blick auf sie gerichtet, wie sie ins Ungewisse führt. Bis ein Auto aus der Ferne gefahren kommt und Bewegung in das Bild bringt, könnte es sich ebenso um ein lebloses Foto handeln. Die Erfahrung eines Stillstands, die bis in die Jugend zurückzureichen scheint, lässt das Leben für Haders Protagonistin unerträglich werden.

    Gegensätze prallen rings um sie herum aufeinander. Da ist einerseits das spießbürgerliche Idyll mit Rasenmäher-Roboter im Vorgarten. Andererseits verfallene Bruchbuden, in denen kauzige Gestalten in bescheidenen Verhältnissen leben. In Hinterhöfen stehen alte Gebäude, die noch die Geschichten des vergangenen Jahrhunderts zur Schau stellen. Andrea und ihre Kollegen ziehen von Haus zu Haus, kontrollieren Waffen, betreiben Suizid-Prävention. Selbstmord scheint in diesem Mikrokosmos keine abwegige Lösung zu sein.

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    Andrea wundert sich nicht schlecht, als plötzlich jemand anderes glaubt, ihren Ehemann überfahren zu haben.

    Hader wiederholt sich in solchen Beobachtungen über anderthalb Stunden vielleicht ein paar Mal zu oft. Vielleicht erscheinen die Eckpunkte all der kleinen und größeren Dramen, die er erzählt, mitunter etwas behauptet und zurechtgebogen. Ihre lose verbundenen Szenen muten eher anekdotisch an, als tatsächlich einen Diskurs, eine Biografie oder auch eine echte Dringlichkeit zu entfalten. Schwarzhumorig eingefangen ist das zweifellos, doch wirklich schmerzhaft oder tiefbohrend wird es selten in Haders Werk, obwohl es so finstere Themen bis hin zum Tod berührt.

    So bleibt „Andrea lässt sich scheiden” mehr Zustandsbeschreibung als Schlagabtausch. Mehr ein Abwarten als ein Mitfiebern, ob ein Ausbruch aus dem persönlichen Dilemma und Alltag doch noch möglich ist. Nun, leicht wird es jedenfalls nicht! Das weiß Hader in treffende Bilder zu übersetzen. Grenzen finden sich hier überall. Und so genießt Birgit Minichmayrs Figur fragliche Aussichten: Irgendwann sitzt sie auf einer Gartenschaukel, den Blick nach vorn gerichtet. Statt einer weiten Landschaft oder eines hübschen Gartens wartet dort nur die karge Wand einer Scheune.

    Fazit: Vieles bleibt etwas unausgereift und gemächlich in Josef Haders neuer Tragikomödie über die beklemmenden und absonderlichen Seiten des Provinzlebens. Als Ortsbegehung weiß sein Film jedoch mit einigen starken Beobachtungen und Bildern zu überzeugen.

    Wir haben „Andrea lässt sich scheiden“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

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